Damoklesschwert des gesetzlichen Mindestlohns
Geschrieben von Rechtsanwalt Konstantin Neimann , Published in Aufsätze- Hauptkategorie: Publikationen
Seit dem 01.01.2015 gilt in der Bundesrepublik ein flächendeckender Mindestlohn. In Anbetracht der Vielzahl von Arbeitsverhältnissen, die von der Mindestlohn-Novelle betroffen sind, sorgt der gesetzliche Mindestlohn nicht nur für steigendes Einkommen und mehr soziale Gerechtigkeit, sondern auch für neue Anwendungsprobleme in der Praxis.
Obwohl nach dem Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes bereits fast eineinhalb Jahre vergangen sind, gibt es in vielen Arbeitsverhältnissen immer noch Anwendungsdefizite, die für erhebliche Unsicherheit sowohl bei Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern sorgen und im schlimmsten Fall sogar zu einem gerichtlichen Rechtsstreit führen könnten.
Um die Handhabung des gesetzlichen Mindestlohns in der Praxis für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erleichtern und rechtsicherer zu machen, werden im Rahmen dieses Beitrages wichtigste praxisrelevante Fragen rund um den Mindestlohn beantwortet sowie mögliche Anwendungsrisiken aufgezeigt.
Ab dem 01.01.2015 beträgt der gesetzliche Mindestlohn 8,50 Euro brutto je Zeitstunde. Für einige Branchen, wie z.B. Pflegebranche, Abfallwirtschaft und Baugewerbe, gelten höhere Mindestlohnsätze.
Ist der gesetzliche Mindestlohn auf freie Mitarbeiter anwendbar?
Freie Mitarbeiter sind nicht Arbeitnehmer und haben somit keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn.
Wird auch die Bereitschaftszeit von dem Mindestlohn erfasst?
Die Arbeitszeiten während des Bereitschaftsdienstes sind ebenfalls mit Mindestlohn zu vergüten (z. B. Bereitschaftsdienst bei 24-Stunden-Pflege, BAG, Urt. v. 19.11.14 – 5 AZR 1101/12).
Auf die Rufbereitschaftszeit ist der gesetzliche Mindestlohn jedenfalls dann nicht zwingend anwendbar, wenn der Arbeitnehmer während der Rufbereitschaft sich außerhalb des Betriebs des Arbeitgebers räumlich und zeitlich frei aufhalten darf..Ist der gesetzliche Mindestlohn auf Au-Pair-Beschäftigungsverhältnisse anwendbar?
Abhängig von der konkreten Ausgestaltung des jeweiligen Au-Pair-Verhältnisses könnte der gesetzliche Mindestlohn auch für Beschäftigungsverhältnisse dieser Art gelten.
Von der Anwendbarkeit des Mindestlohngesetzes auf diese Beschäftigungsverhältnisse ist möglicherweise dann auszugehen, wenn die wöchentliche Beschäftigungszeit im Haushalt der Gastfamilie 30 Stunden oder mehr beträgt (Hinweis des Arbeitsgerichts Mannheim in der Güteverhandlung am 07.10.2015 - Az.: 15 Ca 158/15).
Welche Zahlungen werden auf den Mindestlohn angerechnet?
Da der gesetzliche Mindestlohn der Abgeltung der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers dienen soll, werden auf den Mindestlohn in der Regel solche Zahlungen angerechnet, die mit der erbrachten Arbeitsleistung im Zusammenhang stehen und vom Arbeitgeber nicht mehr zurückgefordert werden können.
Nicht angerechnet werden nur solchen Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Regelung beruhen (vgl. BAG, Urt. v. 25. Mai 2016 - 5 AZR 135/16).
Nicht anrechenbar sind:
- solche Zahlungen, die erschwerte Arbeitsbedingungen oder den besonderen Aufwand des Arbeitnehmers kompensieren sollen (z. B. Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen) oder auf die der Arbeitnehmer einen gesetzlichen Anspruch hat (z. B. Nachtzuschläge gem. § 6 Abs. 5 ArbZG);
- Trink- und Mankogelder, weil diese nicht in einem unmittelbaren Bezug zu einer konkreten Arbeitsleistung stehen, sondern besondere Anreize für den Arbeitnehmer schaffen sollen;
- jährliche Einmalzahlungen (z. B. Treueprämien), wenn diese deutlich getrennt von der regulären monatlichen Vergütung des Arbeitnehmers und ohne Rücksicht auf die erbrachte Arbeitsleistung geleistet werden sowie von den weiteren zusätzlichen Voraussetzungen, wie z. B. Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses, abhängen.
- Akkordzulage, mit der eine über die Normalleistung des Arbeitnehmers hinausgehende Arbeitsleistung vergütet wird.
Anrechenbar sind:
- regulären Zahlungen mit Entgeltcharakter, wie z. B. Leistungsprämien,
- alle anderen arbeitsvertraglich vereinbaren Zuschläge (Zuschläge für Sonn– und Feiertagsarbeit, Spätschicht- sowie Überstundenzuschläge) und regelmäßige Sonderzahlungen, soweit das geltende Recht eine gesonderte Abrechnung dieser Zuschläge nicht ausdrücklich vorsieht;
- Urlaubs- und Weihnachtsgeld, wenn diese Zahlungen an den Arbeitnehmer vorbehaltlos und unwiderruflich geleistet werden;
Auf welcher Grundlage werden die an den Arbeitnehmer zu zahlenden Lohnzuschläge berechnet?
Der gesetzliche Mindestlohn soll nur sicherstellen, dass jeder Arbeitnehmer ein Bruttoentgelt von 8,50 EUR für jede geleistete Arbeitsstunde bekommt. Ist dies der Fall, können die an den Arbeitnehmer zu leistenden Überstunden- Sonntags- und Feiertagszuschläge auf der Grundlage der vertraglich vereinbarten Vergütung, die auch unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegen kann, berechnet werden (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 12.01.16 – 19 Sa 1851/15).
Die Nachtzuschläge sind jedoch auf der Grundlage des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 EUR zu berechnen, weil diese Zuschläge nach § 6 Abs. 5 ArbZG auf das dem Arbeitnehmer zustehende Bruttoentgelt zu gewähren sind.
Werden Sachleistungen auf den Mindestlohn angerechnet?
Die Anrechnung von Sachleistungen auf den Mindestlohn ist nur bis zur geltenden Pfändungsfreigrenze möglich. Nach Bekanntmachung zu den §§ 850c und 850f ZPO (Stand: 01.07.2015) gilt ein Betrag in Höhe von 1079,99 Euro als pfändungsfrei. Liegt das monatliche Netto-Einkommen des Arbeitnehmers unter 1079,99 Euro, ist die Anrechnung von Sachleistungen mithin nicht möglich.
Kann ein Arbeitnehmer nach Geltendmachung des Mindestlohns gekündigt werden?
Gemäß § 612a BGB darf der Arbeitgeber das Arbeitnehmerverhalten nicht deswegen sanktionieren, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Wird ein Arbeitnehmer nach Geltendmachung seines gesetzlichen Mindestlohnanspruches gekündigt, ist diese Kündigung aufgrund des Verstoßes gegen das gesetzliche Maßregelungsverbot des § 612a BGB unwirksam.
Wie lange ist der Mindestlohnanspruch durchsetzbar?
Der gesetzliche Mindestlohnanspruch des Arbeitnehmers unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist und kann mithin innerhalb von drei Jahren gerichtlich geltend gemacht werden.
Kann der Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes vertraglich ausgeschlossen werden?
Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes kann vertraglich nicht ausgeschlossen werden. Jede vertragliche Regelung, die die Durchsetzung des Mindestlohnzahlungsanspruches beschränkt, ist unwirksam. Ein Verzicht auf den Mindestlohn seitens des Arbeitnehmers ist ebenfalls nicht möglich.
Was droht dem Arbeitgeber im Falle der Unterschreitung des Mindestlohnes?
Wer als Arbeitgeber die gesetzliche Mindestlohnzahlungspflicht missachtet, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Wird der Mindestlohn nicht oder nicht rechtzeitig gezahlt, kann dies mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu 500.000 Euro geahndet werden.
Bei einer vorsätzlichen Unterschreitung des Mindestlohnes kann der Arbeitgeber sich unter Umständen sogar nach § 266a StGB wegen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelten strafbar machen.
Wie kann man sich als Arbeitgeber rechtlich gegen die Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohnes absichern?
Die reguläre Arbeitsleistung und Arbeitsumfang des Arbeitnehmers sollen vertraglich sehr genau bestimmt werden. Die sämtlichen auf den Mindestlohn anrechenbaren Zulagen und Zuzahlungen sollen zu einem Gesamtstundensatz, der mindestens brutto 8,50 Euro je Zeitstunden betragen soll, zusammengerechneten werden.
Gewährt der Arbeitgeber die Sonderzahlungen an den Arbeitnehmer, sollten diese auf alle Jahresmonate anteilig aufgeteilt werden (sog. Zwölftelung).
Bei der Formulierung von Arbeitsverträgen muss ferner darauf genau geachtet werden, dass vereinbarte Ausschlussfristen den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht erfassen.
Bei dem Abschluss von außergerichtlichen und gerichtlichen Vergleichen muss sichergestellt werden, dass der seitens des Arbeitgebers auszuzahlenden Betrag rechnerisch den monatlichen Mindestlohnanteil des Arbeitnehmers in den jeweiligen Abrechnungsmonaten entspricht.
Sollten Sie weitere Fragen zum Thema Mindestlohn haben, können Sie mich jederzeit hierzu kontaktieren, um eine individuelle Rechtsberatung zu erhalten.
Ich unterstütze Sie gerne bei der rechtlichen Überprüfung Ihres Anliegens, helfe Ihnen Ihre Arbeitsverträge rechtssicher zu gestalten und vertrete Ihre Interessen bei der Durchsetzung von Mindestlohnansprüchen sowohl außergerichtlich als auch gerichtlich.
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Die Ausführungen im vorliegenden Beitrag beziehen sich ausschließlich auf den dem Beitrag zugrundeliegenden Sachverhalt und können eine individuelle Rechtsberatung, die auf Ihre spezifischen Probleme eingeht, nicht ersetzen.